Droht eine Zwangsversteigerungswelle?
In der aktuellen Debatte rund um gestiegene Zinsen wird oft die These geäußert, dass bald eine Welle an Zwangsversteigerungen privater Wohnimmobilien drohe. Der Grund: Viele Immobilienbesitzer würden mit Ablauf ihrer Zinsbindung in eine teurere Anschlussfinanzierung geraten und dadurch finanziell überfordert. Doch wie plausibel ist dieses Szenario wirklich? Ein genauer Blick zeigt: Die Annahme hält einer realistischen Betrachtung nicht stand.
Ein Rechenbeispiel aus der Praxis
Betrachten wir eine typische Konstellation: Eine 90 m²-Wohnung in guter Lage in München, Baujahr 2000. Realistischer Kaufpreis im Jahr 2015: 500.000 Euro. Der Käufer bringt 10 % des Kaufpreises zusätzlich zu den Kaufnebenkosten aus Eigenkapital ein, finanziert also 450.000 Euro.
Ein in 2015 üblicher Zins von 1,7 % und eine anfängliche Tilgung von 3 % ergeben eine monatliche Rate von 1.763 Euro. Nach zehn Jahren liegt die Restschuld bei rund 305.000 Euro. Inzwischen, im Jahr 2025, ist die Wohnung etwa 750.000 Euro wert. Das bedeutet: Der neue Beleihungsauslauf liegt bei nur noch 40 % des aktuellen Marktwertes – ein exzellenter Risikowert für jede Bank.
Wird das Darlehen nun um weitere zehn Jahre mit 3 % Zins und 3 % Tilgung verlängert, ergibt sich eine monatliche Rate von rund 1.525 Euro. Diese liegt damit sogar nominal unter der ursprünglichen Rate aus dem ersten Finanzierungszeitraum.
Einkommensentwicklung sorgt für Entspannung
Zusätzlich sind die Einkommen seit 2015 um rund 30 % gestiegen. Lag die ursprüngliche Bankrate noch bei etwa 50 % des durchschnittlichen Bruttoeinkommens (eines Alleinverdieners), sind es 2025 nur noch gut 30 %. Durch Wertsteigerung der Immobilie, getilgte Schulden und gestiegene Einkommen gerät der Darlehensnehmer in diesem Szenario keinesfalls in finanzielle Schwierigkeiten – trotz deutlichen Zinsanstiegs.
Die große Mehrheit der Immobilienfinanzierungen wurde zwischen 2010 und 2021 mit langfristiger Zinsbindung (10-15 Jahre) und solider Tilgung (um 3 %) abgeschlossen. Diese Struktur sorgt dafür, dass der große Umbruch bei Anschlussfinanzierungen erst langsam und planbar einsetzt. Die Voraussetzungen für stabile Haushaltsfinanzen sind daher vielfach gegeben.
Ein Blick auf ein Extrembeispiel
Natürlich gibt es vereinzelt auch risikobehaftete Konstellationen. Beispiel: Derselbe Wohnungskauf in 2020 (also fünf Jahre später als im ersten Beispiel) für Marktwert 750.000 Euro, voll finanziert zu 1 % Zins und 2 % Tilgung. Die monatliche Rate beträgt in diesem Fall 1.875 Euro. Wenn die Zinsbindung nach nur 5 Jahren (also 2025) endet, steht eine Anschlussfinanzierung über 673.000 Euro an. Bei einem aktuellen Zins von 3,5 % und 1,5 % Tilgung steigt die monatliche Rate auf ca. 2.800 Euro – eine Steigerung um rund 50 %, während die Einkommen im gleichen Zeitraum nur um etwa 17 % gewachsen sind. In solchen Fällen kann es vereinzelt zu Zahlungsschwierigkeiten kommen, was dann aber auf ein riskantes Finanzierungskonstrukt zurückzuführen ist.
Fazit: Einzelrisiken statt Massenphänomen
Zwar können spekulative oder sehr knapp kalkulierte Finanzierungen in den nächsten Jahren im Einzelfall Probleme bereiten. Eine breitflächige Welle an Zwangsversteigerungen ist jedoch aus heutiger Sicht nicht zu erwarten. Solide Finanzierungsstrukturen, Wertsteigerungen und Einkommensentwicklungen sorgen dafür, dass die meisten Haushalte auch die Anschlussfinanzierung gut bewältigen werden.